Vietnamesen in München

Die im ersten Kapitel erwähnte These, dass die ethnische Kolonie nicht unbedingt mit separierten Wohnbezirken verbunden ist. Dies  spiegelt sich in  der Communityentwicklung der Vietnamesen in München wider. Laut Statistischem Stadtamt München waren bis Ende Dezember 2009 etwa 5100 vietnamesisch-stämmige Mitbürger in München ansässig. Ihr Wohngebiet erstreckt sich über alle Stadtteile Münchens. Besonders hohe vietnamesisch-stämmige Einwohnerzahlen sind in Ramersdorf – Perlach (778 vietnamesisch-stämmige Einwohner), Milbertshofen – Am Hart (588 vietnamesisch-stämmige Einwohner) und Feldmoching – Hasenbergl (403 vietnamesisch-stämmige Einwohner).

Abbildung: Anzahl der vietnamesisch-stämmigen Bevölkerung in den Stadtbezirken München

Wohnbezirke der Vietnamesen in München

Wohnbezirke der Vietnamesen in München

Quelle: Angabe des Statistischen Stadtsamts München Ende Dezember 2009

Zwar leben die Vietnamesen konzentriert in den angegebenen Stadtbezirken, aber sie nehmen an Aktivitäten unterschiedlicher vietnamesischer Gruppierungen teil, die sich in verschiedenen Stadtbezirken befinden. Ausführlich befassen sich damit die weiteren Teile dieses Kapitels.

Verwandtschaftssystem und Kettenwanderung der Vietnam Community

Wie im vorherigen Artikel beschrieben, sind die Vietnamesen aus unterschiedlichen Gründen bzw. auf verschiedenen Wegen nach Deutschland gekommen. Im Rückblick auf den geschichtlichen Kontext zwischen den 60er Jahren bis zur Wendezeit befand sich die Stadt München in der alten Bundesrepublik Deutschland. In München wurden die vietnamesischen Bootsflüchtlinge seit November 1978 aufgenommen. Sie und ihre nachgezogenen Familienangehörigen machten die damaligen Gruppierungen der Vietnamflüchtlinge aus. Nach der Wende bis jetzt sind viele ehemaligen Vertragsarbeiter und ihre Familienangehörigen, Asylbewerber, Studierende und andere vietnamesische Migranten nach München zugezogen. Sie gründeten auch verschiedene Gruppen, die sich an ihren migrationsbezogenen Bedürfnissen und Interessen orientieren. Heute besteht die vietnamesische Community in München nicht nur aus ehemaligen vietnamesischen „Boat – People“, sondern auch aus anderen Menschen aus Vietnam mit unterschiedlichen Migrationsgründen.

Auf die Frage nach dem Migrationsgrund der Mitglieder antwortete der Vorsitzende des vietnamesischen Musik-und Theatervereins: „[…] Manche sind die ehemaligen Studierenden der 70er-Jahre. Manche sind die ehemaligen Boat-People und deren nachgezogenen Familienangehörigen. Manche sind nach dem Berliner Mauerfall aus Osteuropa hier her gekommen. Manche sind Studenten von Universitäten und Hochschulen in München“ (Interview). Auf dieselbe Frage gaben die anderen Interviewpartner  ähnliche Antworten: Die Vietnamesen ihrer Vereine oder ihrer Gruppen seien die damaligen „Boat-  People“, die ehemaligen Vertragsarbeiter in der damaligen DDR und im damaligen Ostblock, nachgezogene Familienangehörige, Asylbewerber, Heiratsmigranten und Studenten direkt aus Vietnam.

 

Laut diesen Antworten bzw. gemäß Kapitel 2 dieser Arbeit lässt sich feststellen, dass es sich bei dem Phänomen der Vietnamesen in Deutschland im Allgemeinen und insbesondere in München um Verwandtschaftssystem und Kettenwanderung handelt, die im Rahmen von Familienzusammenführung oder Eheschließung stattgefunden haben. Darüber hinaus wird eine weitere  Voraussetzung für Kettenwanderung erfüllt, da die Beziehungen vieler Vietnamesen in München zu ihren Verwandten in Vietnam kontinuierlich durch Telefonate, Urlaubsreisen in die Heimat und Hauskauf in Vietnam aufrechterhalten werden, wie aus folgenden Interviewausschnitten hervorgeht:

„[…] in der Familie wird die traditionelle Ehrfurcht vor Großeltern und Eltern erhalten. Die Beziehungen zu den in Vietnam lebenden Großeltern bzw. Verwandten werden aufrechterhalten“ (Interview).

„[…] Manche Leute haben ein Haus in Vietnam gekauft und pendeln zwischen Deutschland und Vietnam […]“ (Interview )

„[…] Ich gründe dieses Geschäft, um das Familieneinkommen zu sichern und um die Urlaubsreisen in die Heimat finanzieren zu können […]“ (Interview )

Allerdings basiert die Form der vietnamesischen Kettenwanderung im Rahmen dieser Untersuchung nicht auf einer (früheren) Nachbarschaft und Freundschaft, sondern überwiegend auf bereits vorhandener Verwandtschaft sowie auf neuen Verwandtschaftsbeziehungen durch Eheschließung im rechtlichen Rahmen der Familienzusammenführung. Nach meiner Beobachtung und Erfahrung ist auch erkennbar, dass die vietnamesische Kettenwanderung nicht nur in der Migrationsform der Familienzusammenführung, sondern auch in der Migrationsform des Studiums erscheint. Viele vietnamesische Studenten haben hier ihre Verwandten, die bereits lange in München mit einem gesicherten Daueraufenthalt leben. Auch wollen viele vietnamesische Zugewanderte ihren Verwandten in Vietnam helfen, nach Deutschland zum Studieren zu kommen. Sie helfen ihnen auch bei der Unterbringung und/oder finanzieller Sicherung eines Studiums oder bei der Suche nach einem Nebenjob während des Studiums etc.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kettenwanderungsform der Vietnamesen überwiegend auf Verwandtschaftsbeziehungen beruht und durch die kontinuierlichen Kontakte mit Verwandten in der Heimat gefördert wird, da Familien- und Clanverbundenheit weiterhin einen hohen Stellenwert in der vietnamesischen Kultur haben.

Vietnamesische Vereine, Selbstorganisationen, religiöse Vereinigungen

Die folgende Gruppen zeigen  die weiteren Strukturelemente der vietnamesischen Community in München:

Vietnamesische Gruppierungen in München, Bayern, Deutschland.

Aus dieser Gruppe [ehemalige „Boat- People“- ehemalige Vertragsarbeiter – Asylbewerber – Studierende und andere ] entstehen 4 Hauptgruppierungen:

Ethnische Ökonomie

Asiatische Lebensmittelläden

Gastronomie/Imbiss

Reisebüros/Übersetzungsbüros

Friseursalons/Nagelstudios

Religiöse Vereinigungen/ Gruppen

Die vietnamesisch-sprachige katholische Mission

Die vietnamesisch-sprachige freie evangelische Mission

Tempel Tâm Giác

Tempel Phổ Bảo

Kultur- Sportvereine

Der vietnamesische Musik-und Theaterverein

VOVINA vietnamesische Kampfkunst

die Vietnamesische Kultur- und Sprachschule

u.a.

Selbsthilfegruppe/Treffen

Frauengruppe

Vietnamesische Freunde München, Tanztreff

und andere Gruppen

Ethnische Ökonomie der Vietnam Community

Im Hinblick auf berufliche Selbstständigkeit innerhalb der vietnamesischen Einwanderergruppen in Deutschland stellt sich der Anteil unterschiedlich dar. In den Jahren nach der Wende in Deutschland haben ca. 55% der ehemaligen Vertragsarbeiter eine selbständige Existenz gegründet und sind bis heute selbständig. Im Gegensatz dazu führen ca. 15% der vietnamesischen „Boat – People“ selbständige Geschäfte. Die meisten sind Arbeitnehmer von deutschen Unternehmen. Dieser Anteilsunterschied resultiert aus dem Migrationskontext und der Lebenssituation bzw. der deutschen Ausländerpolitik: Für die vietnamesischen „Boat – People“ wurden eine gesicherte Aufenthaltserlaubnis, Integrationsmaßnahmen, insbesondere deutsche Sprachförderung, berufliche Aus-und Weiterbildung sowie Umschulungen, finanzielle Unterstützung, soziale Betreuung und Beratung gewährt. Dagegen mussten die ehemaligen Vertragsarbeiter eine selbständige Existenz in den neuen Bundesländern gründen, um einen dauerhaften Aufenthaltstitel bzw. die Arbeitserlaubnis zu erhalten. Außerdem sehen die ehemaligen Vertragsarbeiter Selbständigkeit als eine große Anerkennung innerhalb der Gemeinschaft.

Die vietnamesischen Unternehmen unterscheiden sich durch ihre besonderen Merkmale von anderen Unternehmen, u.a. durch hohe Flexibilität, große Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Rahmenbedingungen und unermüdlichen Fleiß. Diese Eigenschaften ergeben sich einerseits aus der wirtschaftlichen Notsituation der Wendezeit, die Selbständigkeit zur Bedingung des Überlebens machte, andererseits aus vietnamesischen Traditionen bezüglich des Agrarstaates. Die Vertragsarbeiter-Gruppe treibt Geschäfte in den Bereichen Gastronomie (Imbiss, Restaurant), Einzelhandel und Großhandel (Textilien, Blumen, Lebensmittel, Zeitungen und Lotto), Dienstleistungsservice (z.B. Lohn-und Buchhaltungsbüros, Dolmetscher-und Übersetzerleistungen, Reisebüros, Versicherungsbüros). Viele der Unternehmen sind Familien-und Kleinbetriebe. In solchen Betrieben bestehen selbstausbeuterische Arbeitszeiten. Familienangehörige, Verwandte und Bekannte arbeiten ohne Einhaltung der geregelten Arbeitszeit, da sie nur so ihr Familieneinkommen sichern können. Die meisten Geschäfte richten sich an den ethnischen Strukturen aus. Sie bieten sowohl der vietnamesischen Community als auch der deutschen und anderen ausländischen Kundschaft Waren und Dienstleistungen an. Allerdings verbleiben die geschäftlichen Beziehungen innerhalb der vietnamesischen Community.

Seit der Verschlechterung der allgemeinen wirtschaftlichen Situation in Deutschland, insbesondere in den neuen Bundesländern entstand die Tendenz der Verlegung der Selbständigkeit nach Westdeutschland, u.a. Gastronomie, Handelszentren. Die weiteren Tendenzen, die aus der Politik „Öffnung“ Vietnams resultieren, sind Investitionen im Heimatland und Etablierung in neuen Branchen wie Reiseveranstalter und vietnamesische Sprachschule für Kinder.

Vietnamesische Geschäfte in München

Im Großraum München sind die vietnamesischen Unternehmer in verschiedenen Branchenbereichen tätig, wie Lebensmittel, Gastronomie, Reisebüros, Übersetzungsbüros, Wellness – Beauty (Friseursalons, Nagelstudios).

Die vietnamesischen Geschäfte, insbesondere Lebensmittelläden und Gastronomie, befinden sich in Gebieten, die gut zugänglich für Kunden sind, beispielsweise die Lebensmittelläden Thai Binh Duong (Pazifik) in der Rosenheimer Straße in den Bezirken Bogenhausen und Au – Haidhausen, Asia  Shop Ostbahnhof, Asia Markt Feldmoching im Bezirk Feldmoching- Hasenbergl, Asia Markt im Bezirk Milbertshofen- Am Hart, Asia Shop- Van Phat im Bezirk Laim und Schwanthalerhöhe, Asia Markt Trudering, usw. Die Gastronomie befinden sich überwiegend im Stadtzentrum, in Einkaufszentren sowie in den zahlreichen Gewerbegebieten der Landeshauptstadt München.

Wie oben erwähnt, stammen viele vietnamesische Unternehmer in München aus Nordvietnam. Sie waren in der ehemaligen DDR als Vertragsarbeiter tätig und sind nach der Wende nach München zugezogen: „Ich war Vertragsarbeiterin in der damaligen DDR. Nach dem Berliner Mauer-Fall darf ich weiter da bleiben. Ich zog nach München, weil ich gehört habe, dass München eine industrielle Stadt ist und es viele Jobangebote gibt. […] Seit drei Jahren betreibe ich dieses Geschäft. Vorher hatte ich auch ein Textilgeschäft in Ostdeutschland. Ich wurde in Hanoi geboren.“ (Interview).

Zur Gründungsmotivation wies die Befragte auf ihre von den Eltern geerbten Geschäftskompetenzen hin und sie fügte weitere Gründe hinzu, nämlich das geringe Einkommen einer Arbeitsnehmerin sowie ihre eigenen Interessen: „[…] Als ich in München angekommen bin, war ich Arbeitnehmerin. Danach ging ich in den Mutterschaftsurlaub. Später dachte ich mir, dass ich als Arbeitnehmerin nicht genug verdient habe, um auf die Bedürfnisse meiner Familie eingehen zu können. […] Für die Gründung des Geschäfts habe ich mir einen Teil des Kapitals von meinen Verwandten geliehen. Ich gründete dieses Geschäft, um das Familieneinkommen zu sichern und um die Urlaubsreisen in die Heimat finanzieren zu können […]. Außerdem bin ich kontaktfreudig. Durch die Tätigkeit im Geschäft kann ich mit vielen Menschen sowohl in der deutschen als auch in der vietnamesischen Sprache kommunizieren.“ (Interview).

Es lässt sich feststellen, dass die eigenen Ressourcen von Unternehmern, nämlich die   heimatbezogenen kulturellen Faktoren, eigene Kompetenzen bzw. Interessen, finanzielle Unterstützung von Verwandten etc., eine bedeutsame Rolle bei der Gründung eines vietnamesischen Geschäfts spielen.

Kundschaft und Angebote zu speziellen Nachfragen in der Vietnam Community

Zu den speziellen Nachfragen bezüglich der Migrationssituation zählen die heimatbezogenen, wie z.B. die Nachfrage nach asiatischen Lebensmitteln, asiatischen Spezialitäten, Reisemöglichkeiten in die Heimat, heimatlichen Zeitungen, Geldtransfer, Dolmetschen bzw. Übersetzungen etc.

Im Zuge dieser speziellen Nachfragen bzw. kulturellen Ähnlichkeiten innerhalb von asiatischen Regionen zeigen die vietnamesischen Betriebe eine große Vielfalt in ihren Angeboten. Die von Vietnamesen betriebene Gastronomie bietet nicht nur vietnamesische, sondern auch andere asiatische Spezialitäten an, insbesondere thailändische, chinesische, indische und japanische. Dies ist erkennbar durch den Namen der Restaurants bzw. der Besitzer, wie Restaurant Hanoi in der Gmunder Str 13 in Sendling, Indien Palace in der Lachner Str. 1 in Neuhausen, Sushi Bar in der Fürstenrieder Str. 272a in Großhadern, Thai Garden in der Schillerstr. 16, Restaurant China-Express in der Sonnenstr. 4 usw.

Ebenso bieten die Lebensmittelgeschäfte vielfältige Produkte an, die aus asiatischen Ländern und/oder aus vietnamesischen Communities in Tschechien stammen: „Die Waren sind asiatische Lebensmittel, Haushaltsartikel, die aus Thailand, Vietnam, Indonesien, Indien importiert wurden.“ (Interview). In diesen vietnamesischen Lebensmittelgeschäften werden Süßigkeiten und die traditionellen Speisen verkauft, die von Vietnamesinnen selbst gemacht und von den Läden angekauft wurden. Außer den Nahrungsmitteln gibt es vietnamesische Zeitungen bzw. Magazine in  den Läden: „Ich verkaufe auch vietnamesische Zeitungen, z.B. das Vietnam-Deutschland Magazin,  das viele wichtige Nachrichten bzw. aktuelle Rechtsregelungen enthält. Andere vietnamesische Zeitungen sind An ninh thế giới (Internationale Sicherheit) und An ninh (Sicherheit). Die  vietnamesischen Käufer kaufen oft eine Zeitung oder ein Magazin, um die aktuellen Nachrichten aus Vietnam zu erfahren[…].“ (Interview). Die anderen angebotenen Produkte sind vietnamesische Musik-CDs und DVDs, oder  internationale Telefonkarten.

Bezüglich der heimatbezogenen Bedürfnisse entstanden auch Reisebüros, die reiseorientierte Dienstleistungen anbieten, nämlich Reiseveranstaltungen, Flugticketbuchung,      Visumbeschaffung, Erneuerung/Verlängerung des vietnamesischen Reisepasses, Geldtransfer nach Vietnam.

Wegen  der  vielfältigen Angeboten ist die Kundschaft der vietnamesischen Geschäfte international. Kunden der Gastronomie sind Deutsche sowie Vietnamesen und andere Nationalitäten, wie Thailänder, Chinesen etc. Ebenso die Kundschaft der Lebensmittelläden: „[…] die Kunden sind Vietnamesen, Deutsche, die entweder vietnamesische Ehepartner haben oder nach dem Besuch eines asiatischen Restaurants zuhause asiatische Gerichte selbst kochen wollen. Die Kunden sind auch Chinesen, Thailänder, Japaner, sogar Afrikaner usw. (Interview).

Multifunktionalität in der vietnamesischen Community

Die oben beschriebenen vielfältigen Angebote von vietnamesischen Geschäften zeigen die Multifunktionalität, die als ein Merkmal der ethnischen Ökonomie gilt. Die vietnamesischen Lebensmittelläden bieten nicht nur vietnamesische Lebensmittel, sondern auch Haushaltsartikel, asiatische Geschenke, internationale Telefonkarten, Zeitungen, CDs und DVDs. Außerdem scheinen solche Läden nicht nur ein Verkaufsort zu sein, sondern auch ein Vermittlungsort, wodurch viele aktuelle Informationen über Arbeitsplätze bei asiatischen Restaurants, vietnamesische Veranstaltungen, Nachhilfe für Deutschprüfungen, Übersetzungsbüros, Kinderbetreuung, etc. innerhalb der Vietnamesen breit vermittelt werden. Ein weiteres Beispiel für die Multifunktionalität von Reisebüros ist der Service Geldtransfer nach Vietnam. Reisebüros haben oft ihre Niederlassungsbüros oder Kooperationspartner in Vietnam, wo die in Vietnam lebenden Familien von den in München lebenden Kunden schnell Geld bekommen können.

Betriebsstruktur der Geschäfte in der vietnamesischen Community

Für die meisten vietnamesischen Betriebe gilt, dass es Familienbetriebe sind, in denen  Familienangehörige bzw. Verwandte der ersten Migrationsgeneration arbeiten: „[…] unser Laden ist 135m2 groß. Hier arbeiten nur mein Mann und ich. Wenn ich manchmal mehr Arbeitskräfte brauche, hilft mir mein erster Sohn. Manchmal am Wochenende räumt unsere ganze Familie den Laden auf. […] Ich will das Geschäft nicht erweitern, weil mein Mann und ich für dieses Geschäft ausreichen. Meine Kinder wollen dieses Geschäft nicht weiter führen. Sie werden ihre Ausbildung machen und später ihre eigenen Wege gehen […]“ (Interview).

Arbeitskräfte der vietnamesischen Betriebe sind meistens vietnamesisch-stämmige Mitarbeiter. Sie sind entweder Freunde oder Bekannte von Unternehmern oder vietnamesische Arbeitssuchende:“ […] bei den asiatischen Läden stellt man nur asiatische Mitarbeiter ein, z.B. ein indisches Restaurant stellt meist nur Inder ein. Ebenso stellen die vietnamesischen Geschäfte meistens Vietnamesen ein. Vietnamesen können nicht gut Deutsch. Deshalb haben sie mehr oder weniger Komplexe und sind sehr zurückhaltend. Wenn sie in vietnamesischen Läden arbeiten können, verschwinden ihre Komplexe bzw. ihre Schüchternheit, weil sie bei der Arbeit Vietnamesisch sprechen können. Diese Möglichkeit gibt es nicht bei deutschen oder anderen ausländischen Unternehmen.“ (Interview).

Sowohl die vietnamesischen Geschäftsführer als auch die vietnamesischen Mitarbeiter verfügen über eine hohe Arbeitsmotivation und Fleiß, wie die Geschäftsbesitzerin über ihren Arbeitsalltag erzählte: “Mein Mann und ich arbeiten von Montag bis Samstag zwischen 8- 20 Uhr ohne Mittagspause. […] Manchmal am Wochenende räumt unsere ganze Familie den Laden auf. […] Im Allgemeinen arbeiten die Vietnamesen sehr fleißig […]“ (Interview).

Auch bei Gastronomen arbeiten viele Vietnamesen mit geringem Stundenlohn täglich 10 bis 12 Stunden oder mehr. Man kann sagen, dass die Familienbetriebe bzw. die vietnamesischen Betriebe mit vietnamesischen Mitarbeitern ihre herkunftsbezogenen Ressourcen bestmöglich nutzen, um ihr Geschäft gut zu etablieren bzw. zu entwickeln.

Religiöse Vereinigungen der Vietnam Community

Drei Religions-Vereinigungen und -Gruppen der Vietnamesen in München sind die buddhistischen Tempel, die vietnamesisch-sprachige katholische Gemeinde und die vietnamesische Freie Evangelische Mission. Sie nehmen ihre Aufgaben nicht nur im Religionsbereich, sondern auch im gesellschaftlichen Bereich wahr, da diese religiösen Vereinigungen von vietnamesischen Migranten in der Aufnahmegesellschaft gegründet wurden und überwiegend vom Migrationskontext geprägt werden. Im Folgenden gebe ich eine kurze Beschreibung der  jeweiligen Vereinigung in Hinblick auf ihre Gründung, Ziele, Zielgruppe und Angebote bzw. Aktivitäten. Dadurch werden die religiösen und gesellschaftlichen Aufgaben dargestellt, nämlich die religiöse Mission, die Bewahrung bzw. Fortsetzung von vietnamesischen Kulturwerten, vietnamesischer Sprache, die Organisation von Zusammenkünften der Vietnamesen, von spezifischen Aktivitäten für die jeweiligen Altersgruppen mit bestimmten Interessen.

Die heutige vietnamesische katholische Mission – Giáo xứ Nữ Vương Hoà Bình (Die katholische Gemeinde „Königin des Friedens“) wurde 1982 ursprünglich als eine Seelsorgestelle von dem Priester Nguyễn Văn Bích und der Bootsflüchtlingsgruppe im Münchner Aufnahmelager gegründet. 1998 wurde der  Gemeinde den Name „Königin des Friedens“ verliehen. Der Pfarrer L. stellte fest: „[…] heute ist die Gemeinde offen für alle, die unabhängig von der Religion, den politischen Anschauungen und der Migrationsbiographie Vietnamesisch sprechen und sprechen wollen“. Die Gemeinde zielt auf „die Betreuung des sozialen und geistlichen Lebens von vietnamesischen Katholiken“, „die Begünstigung der sozialen Kontakte bzw. Austausch und die Pflege der vietnamesischen Sprache und Kultur bzw. Spiritualität“, erklärte der Pfarrer. Der vietnamesisch-sprachige Gottesdienst wird sonntags von 11 – 12Uhr in der Kirche St. Benedikt abgehalten.  „[…] Zum täglichen Gottesdienst kommen etwa 20-30 vietnamesische Senioren in die Kapelle. Sie treffen sich zum Tee, unterhalten sich miteinander und beten den Rosenkranz“ (Interview 1). Die Gemeinde hat rund 1200 Katholikinnen und Katholiken, die im Erzbistum München – Freising leben. Es ist sozusagen „die junge Gemeinde“, weil es überwiegend junge Mitglieder in der Gemeinde gibt. Der Pfarrer L. betonte ein Charakteristikum der vietnamesischen Katholiken: „Neben dem Glauben an Gott praktizieren die vietnamesischen Katholiken auch die Ahnenverehrung“. Die Gemeinde bietet den in Deutschland aufgewachsenen und geborenen Kindern sowie Jugendlichen vietnamesische Sprachkurse und andere Freizeitaktivitäten, wie den zweiwöchigen Heranwachsenden-Treff, die Jugendlichengruppe, Kindergruppe an. Zu Weihnachten und Neujahr organisiert die Gemeinde Musik- und Kulturveranstaltungen für alle vietnamesischen Katholiken bzw. Vietnamesen in München und Umgebung, um ihr „immaterielles Kulturleben“ zu verbessern, denn „immaterielle Kulturaktivitäten scheinen hier mangelhaft. Während man abends in Vietnam ins Theater oder in die Musikaufführungen gehen kann, kann man das hier mangels deutscher Sprachkenntnisse nicht. […]“ (Interview)

Zum Buddhismus gehören der Ortsverein der buddhistischen Vietnamflüchtlinge in München und Umgebung e.V. bzw. der Tempel Tâm Giác und der neu errichtete Tempel Phổ Bảo. Der Ortsverein der buddhistischen Vietnamflüchtlinge wurde von vietnamesischen „Boat People“ 1985 gegründet. Die ursprünglichen Andachtsstätten befanden sich in Neuperlach und später in Schwabing. 2002 zog der Ortsverein der buddhistischen Vietnamflüchtlinge nach Kirchseeon und eröffnete den Tempel Tâm Giác. Erst im April 2010  wurde der Tempel Phổ Bảo vom Mönch T. durch Spenden von vietnamesischen Buddhisten bzw. buddhistischen Laien in München errichtet. Alle buddhistischen Tempel der vietnamesischen Community gehören zum Dachverband der Pagode Viên Giác in Hannover, die eine Kongregation der Vereinigten vietnamesisch-buddhistischen Kirche e.V. – Abteilung Deutschland ist..  Die Tempel nehmen sowohl religiöse Funktionen als auch soziale Funktionen wahr:

Die religiösen Aufgaben umfassen die tägliche Rezitation bzw. Meditieren, Organisation der buddhistischen Festtage, Pilgerreisen etc.:  „[…] Monatlich gibt es das Üben des Achtfachen Pfads für die zuhause übenden Buddhisten, wobei es sich um 24 stündiges Üben im Tempel handelt […]“ (Interview). Über die buddhistischen Festtage erzählte die befragte Buddhistin:  „[…] Zum vietnamesischen Neujahrsfest besuchen viele Vietnamesen einen Tempel, um für ein glückliches Neujahr zu beten, ein Orakel zu fragen und einen roten Glücksbriefumschlag vom Mönch zu bekommen. Außerdem feiern die buddhistischen Tempel Versak (Geburtstag, Erleuchtungstag und Eintritt Buddhas ins Nirvana), Gedenkfeier des Gründerahns Kaiser Hung Vuong (Giỗ Tổ), Andachtsfeier des Verstorbenen, Vollmondfest“.

Im Anschluss an die religiösen Zeremonien werden kulturelle und musikalische Veranstaltungen organisiert, die den Vietnamesen ermöglichen, Geselligkeit zu erleben. Über die gesellschaftliche Funktion des Tempels Phổ Bảo sagte der Mönch T. in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung: „Hier sollen sich die Vietnamesen, die über München verstreut leben, treffen können und die Möglichkeit haben, ihre Sprache zu sprechen, sich auszutauschen und ihre Kultur zu beleben“. Die Tempel organisieren vietnamesische Sprachkurse, die sich an die Kinder der zweiten Generation richten: „[…] im Tempel Phổ Bảo gibt es zurzeit einen vietnamesischen Sprachkurs mit etwa 10 Kindern“. (Interview).

Laut dem Mönch Thích Như Điển, dem Gründer der Pagode Viên Giác in Hannover, stehen folgende Ziele der Tempel in der vietnamesischen Community im Vordergrund: „Die Kinder an ihre Herkunft zu erinnern, ihnen Pflege der Muttersprache nahezulegen, sie durch Feste, durch kulturelle Angebote und Freizeitveranstaltungen mit ihrer Herkunftskultur vertraut zu machen“. Somit können die Kinder und die Jugendlichen sowohl die vietnamesischen Traditionen aufrechterhalten, als auch ihren vietnamesischen Ursprung „Kinder der Drachen, Enkelkinder der Fee“ nie vergessen.

Bezüglich der Daten der vietnamesischen Buddhisten in München und Umgebung gab die befragte Buddhistin an, dass die vietnamesischen Buddhistinnen und Buddhisten bzw. Laien überwiegend im Alter von 30 bis 60 Jahren seien. Anlässlich von buddhistischen Festen erreiche die Anzahl der Besucher bis zu 1000 Menschen.

Als kleinste Religionsgruppe besteht die Gruppe der vietnamesisch-sprachigen freien evangelischen Mission aus etwa 30 Mitgliedern. Der Älteste L. ist zuständig für die Seelsorge der Vietnamesen und für den Gottesdienst, der sonntags von 14  – 16 Uhr im Gemeindezentrum der freien evangelischen Gemeinde München-Nord stattfindet. Nach dem Gottesdienst treffen die Mitglieder sich zum Essen, um Beisammensein zu erleben. Sie treffen sich alljährlich mit vietnamesischen freien evangelischen Mitgliedern aus anderen Bundesländern zum Sommerzeltlager, um sich auszutauschen.

Kulturelle Vereine und Gruppen, Sportverein der Vietnam Community

Die vietnamesischen kulturellen Vereine/Gruppe entstanden zwecks der Befriedigung von heimatlichen kulturellen Bedürfnissen und Geselligkeitsbedürfnissen der Vietnamesen: „Wir, die Bühnenkunstliebhaber, wollen den Vietnamesen geistige Nahrung bieten. Wir wollen die vietnamesischen Kulturwerte erhalten bzw. an die nachkommenden Generationen weitergeben. Unsere Landsleute haben die Möglichkeit, heimatliche Kulturaufführungen zu genießen, die nicht oft in München angeboten werden“ (Interview). Dieselben  Leitlinien hat auch die Gruppe „Thuyền nhạc Munich“ (Das musikalische Segelboot München), ein Zusammenschluss von Interessierten der Kammermusik. Unabhängig von politischen Parteien oder Religion treffen sich die vietnamesischen Sängerinnen, Sänger, Musikerinnen und Musiker in der Gruppe, um Kammermusik aufzuführen bzw. dadurch Heimatgefühle mit den vietnamesischen Auswanderern zu teilen. Darüber hinaus gibt es vielfältige kulturelle Angebote, z.B. die Vietnamesische Kultur- und Sprachschule. Diese lädt viele berühmte vietnamesische Sängerinnen und Sänger, die derzeit in Vietnam, in den USA oder in Europa leben, zu den Musik- und Kulturveranstaltungen in München ein.

Der vietnamesische Musik- und Theaterverein wurde 2005 von den ehemaligen vietnamesischen Bühnenkünstlern als ein gemeinnütziger Verein gegründet. Ziele des Vereins sind die Erbringung einer „geistigen Nahrung“ für Vietnamesen, die Erhaltung bzw. Fortsetzung der vietnamesischen Kulturwerte und die Entfaltung von Bühnenkunsttalenten auf der nicht professionellen Bühne. Zu den kulturellen Aktivitäten des Vereins zählen die alljährlichen Aufführungen „ Herbstmelodie“, oder die monatlichen Treffen „Sân Khấu Quán“, wobei es vietnamesische Karaoke mit Live-Musik gibt. Außerdem trug der Verein zu  spezifischen kulturellen Veranstaltungen der Stadt München bei, z.B. anlässlich des 850 jährigen Jubiläums der Stadt. Der Vorsitzende bezeichnet den Verein mit seinen etwa 30 Mitgliedern  als „eine große Familie. Wir telefonieren oft miteinander, treffen uns, um Gedichte, Musikstücke oder Lebensanschauungen miteinander auszutauschen. Wir kommen mit einer familiären Liebe zusammen, respektieren einander. Die meisten Mitglieder des Vereins sind Angehörige von Familien, d.h. sowohl Eltern als auch ihre Kinder.“ (Interview).

Als  Sportverein wurde VoViNa Việt Võ Đạo (Lehre der vietnamesischen Kampfkunst) 1993 in München gegründet und wurde 2003 zu einer Sparte des Kodokan München Vereins. Ursprünglich entstand VoViNa Việt Võ Đạo in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Hanoi, Vietnam. Việt Võ Đạo hat an sich einen sozialen philosophischen Hintergrund, wobei es um soziales Verantwortungsgefühl und die Stärkung des vietnamesischen Nationalbewusstseins geht. Die VoViNa Việt Võ Đạo Schule München bietet Kindern und Erwachsenen Lehrgänge, Trainings, Wettkämpfe an, an denen nicht nur vietnamesisch-stämmige Schüler sondern auch solche  mit den verschiedensten Nationalitäten teilnehmen. Insbesondere trugen Việt Võ Đạo Schüler zu vielen feierlichen Veranstaltungen der vietnamesischen Community bei, z.B. Vorführungen wie „Löwentanz“ und Kampfkunst auf dem Sommerfest 2009, auf dem vietnamesischem Neujahrsfest 2010, auf dem Fest der Nationen 2008 im Rahmen der Feiern „ 850 Jahre München“ usw.

Selbsthilfegruppe, Treffen, Internet- Foren der Vietnam Community

Ähnlich wie die oben erwähnten Kulturvereine und Gruppen, sind Selbsthilfegruppen, Freizeittreffen und Internet-Foren auch auf Grund der vielfältigen Bedürfnisse, Interessen und Tätigkeiten von Vietnamesen in der Aufnahmegesellschaft entstanden. Dazu zählen das Geselligkeitsbedürfnis, das Bedürfnis nach Heimatgefühl, nach Teilnahme an vietnamesischen Kulturaktivitäten bzw. Weitergabe der vietnamesischen Kultur an die junge Generation. Die Gruppe „Những người bạn München“ (Vietnamesische Freunde München) wurde aus dem Bedürfnis nach Heimatgefühl, Geselligkeit bzw. heimatbezogenen Kulturaktivitäten gegründet. Vor allem richten sich ihre soziokulturellen Aktivitäten an die in Deutschland aufgewachsenen und geborenen vietnamesischen Kinder. Somit wird die vietnamesische Kultur weiterhin aufrechterhalten. Der Hauptveranstaltungsort befindet sich im „Neuland Jugendzentrum München“. Diese Gruppe organisiert jährlich viele Zusammenkünfte der Familien mit Kindern, wie Sommerfest, Feiern zum internationalen Kindertag, Vollmondfest im August nach dem Mondkalender, vietnamesisches Neujahrsfest. Auf den Festen finden vielfältige vietnamesische kulturelle Aktivitäten statt, z.B. Volksspiele, vietnamesische Musikaufführungen, traditionelle Küche, traditionelle Bekleidung usw. Als Austauschplattform zwischen Vietnam und Deutschland sowie ausführliche Informationen zu Reisen nach Vietnam widmet sich die Gruppe ehemaliger Studenten der Hochschule München (Vietnam Aktuell).

Des Weiteren gibt es den „Tanztreff München“ im Kulturhaus Milbertshofen, der  Vietnamesen Latein- und Standardtanzkurse anbietet. Der Tanztreff veranstaltet oft Tanzabende, Tanzaufführungen mit internationaler und vietnamesischer Musik, z.B. Sommerball 2010.

Nicht nur das Bedürfnis nach heimatbezogenen Kulturwerten, sondern auch Existenz- und Orientierungsbedürfnisse in der Aufnahmegesellschaft sind Schwerpunkte der Selbsthilfegruppe und Studentenforen, z.B. Studium, Arbeit, Wohnen, Deutscherlernen, Landeskunde etc. Dazu gehören:

Das Forum Tre xanh (Grüner Bambus), das sich jungen Leuten und Studenten widmet und das Forum Vietnam München, wo Informationsaustausch zwischen Studenten und werdenden Studenten stattfindet, die sowohl in München als auch in anderen deutschen Städten sowie in Vietnam studieren. Die vielfältigen Themen beziehen sich auf aktuelle Nachrichten aus der vietnamesischen Community, Veranstaltungen, Freizeitaktivitäten, Nebenjobs, Wohnen, Studium bzw. Studienvoraussetzungen in München sowie in Deutschland im Allgemeinen. Das Geselligkeitsbedürfnis findet sich wieder in Aktivitäten der Studenten. Sie feiern zu besonderen Anlässen zusammen, wie Sylvester und Neujahr, das vietnamesische Neujahr, Studentenfest usw. Sie unternehmen darüber hinaus in ihrer Freizeit viel miteinander, wie Ausflüge zum Austausch mit Studierenden aus anderen deutschen Städten (z.B. Berlin, Bochum, Frankfurt am Main) oder sportliche Aktivitäten (Fußballspiele, Federballspiele, Tischtennisspiele) etc.

Die Frauengruppe einschließlich des Deutschkurses für Frauen wurde 2008 gegründet. Die Frauengruppe verfolgt Ziele, die das Erlernen der deutschen Sprache zur Kommunikation im Alltagsleben bzw. Orientierung der Kinder und Austausch, sowie Beitrag der Stärke von Vietnamesinnen zur deutschen Gesellschaft umfassen. Die Gruppe besteht aus sechs Aktiven, jedoch nehmen rund 30 Frauen an den dreimonatlichen Gesamttreffen teil. Den  Charakter der Vietnamesinnen beschreibt die Leiterin so: „Die Vietnamesinnen der Gruppe sind bescheiden, natürlich, humorvoll. Sie sind im Alter von 40-55, in dem sie reif  genug und weise sind. Die meisten Frauen sind zwar Atheistinnen, aber vom Buddhismus beeinflusst. Sie sind sehr geschickt im Kochen. Weil sie weit entfernt von ihrer Heimat leben, erhalten sie weiterhin die Kochtradition sowie die heimatliche Esskultur“ (Interview). Zu den Angeboten bzw. Aktivitäten der Gruppe gehören Deutschkurse und dreimonatliche Frauentreffen. Der Deutschkurs findet in der gemieteten Räumlichkeit der Volkhochschule Neuperlach statt. Die Frauentreffen finden oft bei IN VIA Connect statt, um Informationen über das Alltags- und Arbeitsleben auszutauschen bzw. die Esskultur zu beleben. Außerdem werden Ausflüge für Frauen organisiert, um das Wissen über München und Bayern zu verbessern.

Vietnam Community in München zusammengefasst

Die Vietnamesen in München sind Migranten mit unterschiedlichen Migrationsgründen, nämlich ehemalige Bootsflüchtlinge und ihre nachgezogenen Familienangehörigen, ehemalige Vertragsarbeiter der DDR und ihre nachgezogenen Familienangehörigen, Asylbewerber, Studierende, Heiratsmigranten und andere. Viele davon haben einen gesicherten und/oder dauerhaften Aufenthalt in Deutschland. Sie wohnen in allen Stadtteilen der Stadt München, besonders konzentriert in Ramersdorf – Perlach, Milbertshofen – Am Hart, Feldmoching – Hasenbergl. Sie beteiligen sich freiwillig an Aktivitäten der vietnamesischen Community, die sich an ihren migrationsbezogenen Interessen und Bedürfnissen orientieren und in unterschiedlichen Stadtteilen stattfinden. Zu den Interessen und Bedürfnissen zählen die vietnamesische Geselligkeit, die traditionellen Feiern, das Praktizieren der Religion, die Erhaltung und Weitergabe der vietnamesischen Kulturwerte sowie die alltägliche Orientierung bzw. Existenz in der deutschen Gesellschaft.

Die Schwierigkeiten bzw. Probleme der Vietnamesen in München umfassen hauptsächlich die deutschen Sprachkenntnisse, Diskriminierung am Arbeitsplatz sowie Kindererziehungs- und Familienprobleme. Diese Probleme gehen meist auf mangelhafte Deutschkenntnisse und eine Verfestigung des traditionellen vietnamesischen Familienlebens zurück. Bei Schwierigkeiten wenden die Vietnamesen sich zuerst an ihren Verwandten, dann an Freunde oder Bekannte. Sie sehen die Annahme der Hilfsangebote außervietnamesischer sozialer Organisationen als letzte Lösungsalternative an, weil sie ihren Deutschkenntnissen im Umgang mit deutschsprachigen sozialen Organisationen nicht trauen.

Zu den Stärken der Vietnamesen gehören Eigenschaften wie Ehrgeiz, Fleiß, hohe Arbeitsmotivation, Flexibilität, Geschick, die nicht nur in einer Industriegesellschaft, sondern auch in einer kontinuierlich sich verändernden Umwelt nützlich sind. Es kommt häufig vor, dass ein Vietnamese, der einer ehemaligen Vertragsarbeiter und Arbeitnehmer war, zum Geschäftsführer eines Textilladens oder eines Lebensmittelladens geworden ist. Es kommt auch häufig vor, dass vietnamesische Kinder als erfolgreiche Kinder mit Migrationshintergrund anerkannt werden, weil sie gute Schulleistungen an Gymnasien schaffen können. Der Spruch „Einmal Unterschicht, immer Unterschicht“ gilt nicht für vietnamesische Migranten in Deutschland.

Allerdings besteht ein schwacher Zusammenhalt innerhalb der vietnamesischen Community in München. Dieses könnte als eine der Schwächen der Community angesehen werden, weil es zu Konflikten innerhalb der Community führte und weiterhin führen kann. Infolgedessen erfahren die Vietnamesen manchmal auch eine sozusagen innervietnamesische Diskriminierung, wie die Distanzierung zwischen den ehemaligen „Boat-People“ und nordvietnamesischen Migranten: „[…] sie kann sich nicht mit uns befreunden.“ (Interview). Diese Schwäche wirkt sich überwiegend auf Aktivitäten der gesamten vietnamesischen Community aus.

Aufgrund der ähnlichen Interessen, Bedürfnisse und Kompetenzen der vietnamesischen Migranten wurde eine Reihe von Vereinen, Vereinigungen, Gruppen, Begegnungsstätten und Geschäften gegründet, die die Vielfalt der vietnamesischen Community ausmachen. Dazu zählen fünf wichtige Säulen: Religionsvereinigungen, Politikgruppen, Kulturvereine bzw. Kulturgruppen, (Frauen)Selbsthilfegruppen und Geschäfte.

Schwerpunkte der meisten Aktivitäten und Angebote der Vereine bzw. Gruppen liegen auf gesellschaftlicher Orientierung, Alltagsbewältigung, Bildung und Kultur, d.h. Bewahrung bzw. Weitergabe der vietnamesischen Kulturwerte. Diese Angebote und Aktivitäten     ermöglichen den Vietnamesen, Informationen über ihren Lebensalltag auszutauschen und migrationsbezogene psychische Belastungen zu mindern. Sie bieten den Vietnamesen die Möglichkeit an, die deutsche Gesellschaft kennenzulernen sowie Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen aufzubauen. Außerdem bieten die vietnamesischen Geschäfte den Vietnamesen zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten. Somit erfüllt die Community die Funktionen von sozialer Anbindung, Stabilisierung der Persönlichkeit, Neueinwandererhilfe und Selbsthilfe. Sie gilt als Sozialkapital bzw. Ressource der Vietnamesen. Allerdings hat diese Ressource gegensätzliche Wirkungen. Zum einen begünstigt die Community mit ihren politischen, wirtschaftlichen, interkulturellen, sozialen Wirkungen die weitere Integration der Vietnamesen in die deutsche Gesellschaft. Zum anderen könnte die Community sich negativ auf den Integrationsprozess auswirken, wenn die Vietnamesen von diesem Sozialkapital lebenslang abhängig leben. Weitere Faktoren der erfolgreichen Integration sind die Persönlichkeit der Migranten und die Offenheit der deutschen Gesellschaft. Inwieweit die Vietnamesen sich in München integrieren, erfordert eine andere Untersuchung.

Im Vergleich zu den vietnamesischen Communities in Berlin oder in Ostdeutschland, die viele Hilfsprojekte in Vietnam durchgeführt haben, sind solche Projekte in der vietnamesischen Community in München nicht deutlich erkennbar. Die Münchner Vereine und Gruppen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Unterstützung der Vietnamesen bei der Kulturbewahrung, Alltagsgestaltung und -bewältigung in München.

In Interviews mit Experten werden immer wieder jährlichen Urlaubsreisen in die Heimat bzw. dortige Hauskäufe der in München lebenden Vietnamesen erwähnt. Dies bedeutet ein Sichbewegen in transnationalen Räumen. Diese Mobilität führt zur kontinuierlichen Kettenwanderung. Allerdings könnte sie eine offene Rückkehrperspektive, insbesondere aufgrund wirtschaftlicher Investitionen in Vietnam sein. Ob oder inwiefern sich diese vietnamesische Transmigration auf Deutschland und Vietnam auswirkt, erfordert eine andere ausführliche Untersuchung.

Das Konzept der ethnischen Kolonie wurde vom Heckmann in der Analyse des Phänomens der Arbeitsmigration ausgeführt. Durch die Untersuchung der vietnamesischen Community in München lässt sich feststellen, dass dieses Konzept ausschlaggebend für die Analyse der ethnischen Communities sind, die sowohl aufgrund der Arbeitsmigration, als auch aufgrund der anderen Migrationsmotivationen entstanden sind.

Es ist wichtig für SozialarbeiterInnen, die sozialen ethnischen Netzwerke von AdressatInnen mit Migrationshintergrund, wie z.B. in dieser Arbeit von vietnamesischen Migranten, zu kennen. Häufig brauchen Fachkräfte in der Sozialen Arbeit Wissen über innerethnische Strukturen der Communities, zu denen ihre vietnamesischen AdressatInnen gehören, um einen Einblick in diese Communities zu bekommen. Allerdings fällt es diesen Fachkräften als Außenstehenden nicht so leicht, eine ethnische Community im Allgemeinen, insbesondere die vietnamesische Community zu durchschauen und mit ihr Kontakte aufzubauen. Eine Beschreibung der vietnamesischen Community in München dient diesem Zweck.

Es ist auch wichtig, besonders für die Arbeit mit vietnamesischen Familien, zu wissen, wo die Vietnamesen in München konzentriert leben und damit auch, wo sich eventuelle soziale Probleme von Vietnamesen besonders konzentrieren würden.

Bedürfnisse und Interessen von AdressatInnen zu verstehen und ihre vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen zu erkennen, sind zentrale Aspekte der Sozialen Arbeit. Eine Beschreibung der vietnamesischen Community in München nach Heckmann liefert einige wichtige Informationen über diese zentralen Aspekte für die Soziale Arbeit mit vietnamesischen AdressatInnen in München.

In der konkreten Beratungsarbeit für vietnamesische AdressatInnen durch muttersprachliche Fachkräfte spielt es oft eine wichtige Rolle, innerethnische Konflikte unter vietnamesischen MigrantInnen zu verstehen, um angemessene Hilfe für sie zu koordinieren, ohne dass diese aufgrund der Konflikte abgelehnt wird.

Nicht zuletzt könnte es ein Vorteil sein, verschiedene Vereine oder Organisationen vietnamesischer MigrantInnen zu kennen und dieses für eine Vernetzungsarbeit zwischen ihnen und deutschen Einrichtungen zu nutzen.

Autor: Diem Quynh Le

Literaturquellen


Interviews; Ebitsch, Sabrina, 2010. Der Vietnamesen-Treff. Die Pagode Phổ Bảo in der Freisinger Landstraße. In: Süddeutsche Zeitung vom 08.09.2010; Le, Quang Thanh, 2009 (Hrsg.) Gemeinschaft der vietnamesischen Flüchtlinge in Bayern, S. 55; Thích, Như Điển, 1996, S.435 zit. nach Schöningh, 2008. Kulturell sprachliche determinierte Wahrnehmungs- Denkmuster vietnamesischer Migrantinnen und Migranten in Deutschland, S.36; Internet: (www.gxnvhb.de), Dao, Minh Quang, 2005. Wirtschaftliche Strukturen in der Gruppe der ehemaligen Vertragsarbeiter/innen in Deutschland, S.120.; Wolf, Bernd, 2007. Die vietnamesische Diaspora in Deutschland; Internet: www.vovinam-muenchen.de;